Wie wirkt sich Schichtarbeit auf Schlafqualität und Bluthochdruck aus?
Rund 15% der Erwerbstätigen in Deutschland arbeiten in Schichten, was für die etwa 17 Millionen Schichtarbeitenden in Deutschland mit verschiedenen sozialen und gesundheitlichen Herausforderungen einhergeht. In diesem Beitrag erläutern wir den Zusammenhang zwischen Schlafproblemen, die durch Schichtarbeit bedingt sind und zeigen auf, welche Auswirkungen sie auch auf das kardiovaskuläre Risiko der Betroffenen haben können.
Schichtarbeit
Die Bedeutung von Schichtarbeit nimmt in Deutschland seit Jahren zu. Schichtarbeit ist in Deutschland weit verbreitet und betrifft etwa 15% der Beschäftigten. Besonders häufig kommen Schichtdienste neben dem Gesundheitswesen in der Industrie, bei Sicherheitsdiensten und im Transportwesen vor. Insbesondere im Dienstleistungssektor ist dabei mit einer weiteren Zunahme von Nacht- und Schichtarbeit zu rechnen (Angerer & Petru, 2010).
Vor allem rotierende Schichten und Nachtschichten sind oft mit dem gesundheitlichen Risiko Bluthochdruck (Hypertonie) verbunden. Schlafmangel kann sich in dieser Hinsicht verstärkend auf die schädlichen Folgen von Schichtarbeit auswirken und mit einer Erhöhung des Blutdrucks einhergehen.
Schichtarbeit und Insomnie
Schichtarbeit wird mit einer Reihe schlechter somatischer und psychischer Gesundheitsergebnisse in Verbindung gebracht. Der wichtigste verhaltensbezogene Faktor, der Schichtarbeit und Krankheit miteinander verbindet, ist Schlaf. Schichtarbeit stört den zirkadianen Rhythmus und die Melatoninsekretion und wird unter anderem mit Schlafstörungen, einem höheren Risiko für Depressionen, Magen-Darm- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Übergewicht in Verbindung gebracht. Weitere Folgen der Arbeit gegen den inneren Rhythmus sind Schlafentzug, Schlaflosigkeit und Tagesmüdigkeit (Hajak & Zulley, 2008).
Einer von vier Schichtarbeitern und einer von drei Nachtarbeitern leidet unter klinisch relevanten Symptomen von Schlafstörungen (Drake et al., 2004). Schwierigkeiten, den Schlaf einzuleiten oder aufrechtzuerhalten, und Tagesschläfrigkeit, die länger als drei Monate andauern und eindeutig mit der individuellen Schichtrotation zusammenhängen, können nach der Internationalen Klassifikation der Schlafstörungen als "Schichtarbeits-Schlafstörung" diagnostiziert werden (Medicine, 2005). Die damit verbundenen Beeinträchtigungen der Tagesfunktionen führen zu einem erhöhten Risiko von Arbeits- und Wegeunfällen, die allein in den USA jedes Jahr Schäden und Gesundheitskosten in Milliardenhöhe verursachen (Wickwire et al., 2017).
Wie kann mittels KVT-I gegen Schlafprobleme bei Schichtarbeitenden vorgegangen werden?
Es gibt nur wenige Präventionsprogramme und Behandlungsmöglichkeiten, die speziell auf die Bedürfnisse von Schichtarbeitern zugeschnitten sind. In einer Studie von Peter et al. (2019) wurde eine 4-wöchige Online-Intervention zur kognitiven Verhaltenstherapie bei Insomnie (KVT-I) (n = 21) entwickelt und die Schlafergebnisse mit einer ambulanten Behandlung von Schichtarbeitern (n = 12) unter Verwendung eines Schlaftagebuchs und der Epworth Sleepiness Scale (ESS) verglichen.
Die Ergebnisse zeigten eine signifikante Verbesserung der Schlafeffizienz um 7,2 % in der Stichprobe mit der digitalen KVT-I und 7,7 % in der ambulanten Stichprobe. Es wurde jedoch kein signifikanter Unterschied in der Rate der Verbesserung der Schlafeffizienz über die vierwöchige Behandlung zwischen den Stichproben festgestellt.
In der Stichprobe mit der digitalen KVT-I verbesserten sich allerdings die Werte für das Wohlbefinden (WHO-5) und die Schlaflosigkeitssymptome (ISI) nach der KVT-I-Intervention signifikant (p < 0.004 bzw. p < 0.002). Sowohl für die Symptome der Schlaflosigkeit (PSQI-Werte) als auch der Depression (BDI-II- und MADRS-Werte) konnte nach der KVT-I-Intervention eine signifikante Verbesserung festgestellt werden.
Insgesamt verbesserten sich durch die KVT-I neben den Schlaflosigkeits- und Depressionssymptomen auch die Schlafeffizienz und das Wohlbefinden sowohl in der digitalen als auch in der ambulanten Stichprobe. Dadurch konnte die Studie zeigen, dass die digitale Form der KVT-I ein wirksamer Ansatz für die Behandlung von Schlaflosigkeit bei Schichtarbeitern ist (Peter et al., 2019).
Medizinischer Zusammenhang mit Bluthochdruck
Studien zeigen, dass Schichtarbeit den nächtlichen Blutdruck erhöhen und die Blutdruckkontrolle bei Patient:innen mit Hypertonie verringern kann (Makarem et al., 2021). Grundsätzlich unterliegt der Blutdruck im circadianen Rhythmus regelmäßigen Schwankungen.
Der Tag beginnt in der Regel mit einem ersten morgendlichen Gipfel des Blutdrucks, gefolgt von einem Abfall der Werte zur Mittagszeit. Nachmittags kommt ein zweiter Gipfel des Blutdrucks, bevor dieser nachts wieder normalerweise um 10-20% abfällt (nocturnal dip).
Bei einigen Patient:innen bleibt der nächtliche Blutdruckabfall aus. Die möglichen Gründe dafür sind vielfältig: Schlafdauer, Insomnie, schlafbezogene Bewegungsstörungen, schlafbezogene Atemstörungen sowie physiologische und neurobiologische Mechanismen können eine relevante Rolle dabei spielen.
Physiologische und neurobiologische Mechanismen
Hinsichtlich physiologischer und neurobiologischer Mechanismen lässt sich feststellen, dass bei gesunden Menschen ein Abfall (“Nocturnal Dip”) des Blutdrucks in der Nacht um 10-20% die Norm ist. Bei Menschen mit Schlafmangel ist dieses sogenannte Dipping abgeschwächt oder aufgehoben. Vermindertes nächtliches Dipping, sogenanntes Non-Dipping, ging in Studien mit erhöhter Sterblichkeit einher. In Extremfällen kann es sogar zu einem nächtlichen Anstieg des Blutdrucks kommen, was langfristig ein tödliches Gesundheitsrisiko darstellt (Deutsche Hochdruckliga e.V. DHL, 2017).
Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist bei Non-Dippern höher als bei Patient:innen mit physiologischem Nocturnal Dip. Wissenschaftliche Befunde zeigen, dass sowohl zu kurzer als auch zu langer Schlaf mit vermindertem Nocturnal Dip assoziiert ist.
Quellen und weitere Links
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Hajak, G., Zulley, J. (2008). Schlafstörungen bei Schichtarbeit—Wenn die Arbeit mit der inneren Uhr kollidiert. psychoneuro, 34(2), 70–77. https://doi.org/10.1055/s-2008-1066868
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